Das Zwei-Becher-Problem

Wir sind beim Abendbrot. Knöpfchen und Rakete sitzen nebeneinander im Hochstuhl. Die Grundausstattung eines jeden Essens ist aktuell Joghurt. Am liebsten der leckere griechische Naturjoghurt. Also werden Löffel benötigt. Wie immer braucht Knöpfchen sehr seeehr seeeeehr lange, um sich unter den vielen Löffelfarben zu entscheiden. Und tauscht dann im Hochstuhl sofort den Löffel mit Rakete. Jedes Mal. Immer. Sein Glück ist, dass sein Bruder ein relativ unkompliziertes Kind ist, dass gern tauscht, wenn es gute Laune hat. Also meistens.

Joghurt essen sieht bei meinen Kindern so aus, wie man sich da bei Kleinkindern vorstellt. Innerhalb von Sekunden ist das Gesicht in eine teintfreundliche Schönheitsmaske getaucht, gerne noch garniert mit Apfelstückchen, Gurkenschalensplittern oder was sich sonst an gesunden Nettigkeiten am Tisch anfindet. Vitaminkur halt. Auch die Haare werden nicht verschont. Die Ohren. Der Body. Der Hochstuhl. Der Fußboden. Und circa 2 Quadratmeter der Tischfläche.

Nachdem der erste Hunger gestillt ist, kommt der Entdeckerdrang durch. Ganz en vogue ist gerade das Abmessen von allen möglichen Gegenständen oder Flüssigkeiten. Passt das zerkaute Brötchen in den Wasserbecher? Ja, es passt. Passt der Kirschmatsch unter den Teller? Ja, er passt. Passt die gequetschte Gurkenscheibe auf den Stiel der Gabel. Ja, sie passt. Passt das Wasser auf den Teller. Ja, leider auch auf den Tisch und den Boden. Flüssig, Schwerkraft usw.

Man kann als lebenserfahrenes Kleinkind natürlich nicht nur Besteck tauschen. Das wissen meine selbstverständlich. Man kann auch Becher tauschen. Und probieren, ob der Joghurt in den Becher passt. Spoiler: er passt!

Jetzt ergibt sich folgendes Szenario - Rakete tauscht mit Knöpfchen den Becher, füllt in Knöpfchens Becher seinen Joghurt. Dann verlangt Knöpfchen seinen Becher zurück. Hier ist jedoch Raketes Joghurt drin, was dieser erstaunt bemerkt, nachdem er Knöpfchen den Becher zurückgeschoben hat. Nun fordert Rakete lautstark seinen Joghurt. Knöpfchen nimmt Raketes Becher und schaufelt ganz lieb den Joghurt aus seinen Becher in Raketes. Dann löffelt er zusätzlich seinen eigenen Joghurt in Raketes Becher. Und schiebt den Becher rüber. Oups. Mecker. Motz. Nun fehlt der Joghurt bei Knöpfchen. Rakete tauscht seinen Becher (mit Joghurt) mit Knöpfchens Becher (ohne Joghurt). Knöpfchen ist unzufrieden: falsche Becherfarbe. DAS GEHT NICHT. Heute wird nur aus Gelb gegessen. Auf keinen Fall aus Grün. Unabhängig davon, dass sie eigentlich sowieso vom Teller und nicht aus dem Becher essen sollen. Rakete ist auch unzufrieden, er hat seltsamerweise schon wieder keinen Joghurt. Aber so ganz der rechte Hunger ist nicht mehr da, also werden die noch vorhandenen sonstigen Essensreste trotz massivem Protest vom Bruder in den Becher geschaufelt. Wohlgemerkt: In Knöpfchens Becher, denn Raketes Becher mit Joghurt ist aktuell bei Knöpfchen. Knöpfchen schieb den Becher mit Joghurt immer wieder zu Rakete, Rakete will ihn aber nicht, schiebt mit einer Hand zurück und befüllt unbeeindruckt weiter Knöpfchens Becher. Endlich kann Knöpfchen sich durchsetzen. Rakete schaufelt brav den Joghurt zur Hälfte in Knöpfchens Becher und schiebt diesen rüber. Knöpfchen möchte essen und entdeckt, dass der Joghurt nicht mehr so ganz blütenrein ist, sondern sich Reste von zerkautem Brötchen, Gurkenschalen und Wiener drin verbergen. Mit einem lauten "Bääääh" kommentiert er diesen Fakt, visuell untermalt durch eine bis zum Anschlag rausgestreckte Zunge und kleine Fingerchen, die zum einen jeden Hauch von Krümel von der Zunge wedeln und andererseits jeden Fremdkörper aus dem Joghurt pulen. Womit alsbald gar kein Joghurt mehr im Becher ist. Rakete hat nunmehr auch keinen Hunger mehr und probiert, ob der Becher, wenn man ihn wirft, weiterhin auf den Boden fällt und dabei ein Geräusch macht. So wie gestern. Tut er. Der Becher ist offensichtlich nicht allzu variantenreich in seinem Verhalten.

Meine Wenigkeit und Papa Nerd sitzen daneben und wissen gerade nicht, ob wir weinen oder lachen sollen.